Viele werden sich noch – mehr oder weniger gern – an die Zeiten erinnern, da es noch keine Discounter und Supermärkte in unserer Stadt gab. Die Zeiten, bevor mit „Flink Fertig“ die erste Kaufhalle ihre Türen öffnete. Damals kaufte man das, was zum Leben brauchte in kleinen Geschäften, heutzutage würde man sie als „Tante-Emma-Läden“ bezeichnen. Doch man wurde bedient, statt es selbst tun zu müssen und die Atmosphäre war familiär. Jeder hatte sicher seinen Lieblingsladen, egal ob es nun Spielhagen, Vogler, Mohr oder ein anderer war.
Damit man sich ein Bild machen kann, wie es damals zuging in so einem Lebensmittelgeschäft, folgt im Anschluss ein Bericht einer Verkäuferin, die lange Jahre bei Otto Spielhagen in der Straße der Jugend gearbeitet hat.
1936 wohnten die Eltern von Otto Spielhagen schon in Ludwigsfelde. Otto Spielhagen hatte zu dieser Zeit sein Geschäft in Berlin-Lichterfelde Ost. Man trug die Bitte an ihn heran, in Ludwigsfelde ein Geschäft zu eröffnen. Also wurde bei den Eltern angebaut. 1938 war es dann soweit. Sein Lebensmittelgeschäft in Berlin wurde aufgelöst, um die Versorgung mit Lebensmitteln in Ludwigsfelde zu übernehmen. Mit viel Elan, Einfallsreichtum und sehr viel persönlichem Einsatz wurde nun die Bevölkerung bis zum 30.06.1965 von Familie Spielhagen versorgt.
Am 22.02.1956 wurde ich, gerade 17 Jahre alt, von Herrn Otto Spielhagen als Verkäuferin eingestellt. Damals gab es noch Lebensmittelmarken. Auch waren fast alle Lebensmittel lose, zum Beispiel: Zucker, Mehl, Butter, Salz – es musste alles noch abgewogen werden. Sonnabend wurde bis 17 Uhr verkauft. Additionsmaschinen und elektrische Kassen hatten wir auch nicht, es wurde alles auf Papierstreifen geschrieben und im Kopf ausgerechnet. Die Mittagspause von 13 Uhr bis 15 Uhr nutzte man, um die Lebensmittelmarken auf Zeitungen zu kleben und abzurechnen.
Ganz langsam zogen in der Versorgung Verbesserungen ein. Ende der Fünfziger Jahre gab es keine Lebensmittelmarken mehr. Es war ein herrliches Arbeiten ohne Schneiden und Kleben. Die schönsten Bonbonsorten gab es natürlich bei Otto Spielhagen. Gleich wenn man den Laden betrat, standen rechts auf einer Vitrine 8 bis 10 große Bonbongläser mit einem Deckel versehen. Was gab es da nicht alles für schöne Sorten, Maiblätter, Rockse, Himbeeren, Stachelbeeren, Milchhonig-Ecken, Fenchel-Malz und Eukalyptusbonbon. Der Renner aber waren die schön gedrehten Zuckerstangen und die Gummischlangen, das Stück für 10 Pfennig. Auch muss noch das berühmte Genth-Brot genannt werden. Dasselbe war über die Grenzen von Ludwigsfelde bekannt. Sogar die Dorfbevölkerung stand Schlange. Das Genth-Brot wurde aus Teltow angeliefert. Es wurde damals schon in einem Backofen mit Ölfeuerung gebacken. Das Patent dafür hatte ein gewisser Herr Genth, der nach Kriegsende die DDR verließ. Aber der Backofen musste hierbleiben. Aus Leipzig von der Firma Pikanta bezogen wir das schwarze Brot, „Pumpernickel“ genannt. Einmal im Monat kam per Express auf dem Bahnhof Ludwigsfelde das Pumpernickel an. Von dort mussten wir es uns selber mit dem Fahrrad abholen. Aber Pumpernickel hatte kein anderes Geschäft im Angebot. Auch Sauerkraut und Salzhering vom Fass sowie loser Senf waren sehr gefragt. Für lose Waren mussten sich die Kunden Schüsseln oder Gläser mitbringen.
Eine Firma aus Luckenwalde „Falkenthal & Söhne“ belieferte uns regelmäßig mit Likören und Schnaps. Der Firmenchef fuhr persönlich im PKW mit Anhänger vor. Dann lud er die Ware selber aus und jede Flasche wurde noch einmal mit einem Lappen abgewischt. Später durfte er nicht mehr privat ausliefern. Seine Ware wurde nach Teltow zum Großhandel gebracht. Somit war der Direktbezug eingestellt. Das war für uns sehr schade. Viel Zeit ging dadurch verloren. Auch bekamen wir die Ware nun völlig verdreckt angeliefert. Doch ein Gutes hatte der Großhandel auch für uns. Zigaretten, Zigarren, Tabak und Kaffee konnte man nur begrenzt bestellen, doch das Kontingent reichte niemals bis zur nächsten Lieferung aus. Bei schönem Wetter durfte ich mein Fahrrad satteln, und mit drei großen Stofftaschen zog ich Richtung Teltow los, das waren ungefähr 15 km. Im Großhandel war ich schon bekannt. Dort bekam ich meine Taschen vollgepackt und zog glücklich von dannen. Damals wusste ich noch nicht, dass ich l7 Jahre, von 1976 bis 1993 als Disponentin Wareneinkauf, im Großhandel tätig werde.
Wenn im IWL – Industriewerk Ludwigsfelde – Feierabend war, so gegen 16 Uhr, brauchte man nur die Straße der Jugend, ehemalige Werkstraße, Richtung Südwache, wo jetzt unsere Feuerwehr stationiert hinunterzuschauen, und man sah die Werkslawine anrollen. Alle auf Fahrrädern – jeder wollte der erste sein, um bei Otto Spielhagen das Feierabendbier zu trinken. Unsere Schaufenster-Bänke waren immer schnell besetzt. Das Bier gab es noch in Flaschen mit Schnappverschluss und kühl aus dem Keller.
Der Verkauf im Laden machte mir immer großen Spaß. Es ging alles ein bisschen familiär zu, diese individuelle Bedienung gab doch mehr Kontakt zum Kunden. Die Kundschaft wurde von uns gut beraten, z. B. wurden Tipps und Vorschläge zum Mittagessen gegeben. Manche Kunden wollten einen Rat, wenn ein Kind erkrankte, Herr Spielhagen konnte immer mit einem guten Vorschlag helfen. Wir hatten keinen „Tante Emma Laden“, sondern einen „Onkel-Otto-Laden“. Das waren die Zeiten von 1956 bis 1965. Als Otto Spielhagen sein erstes Enkelkind in den Armen hielt und schon 72 Jahre alt war, entschloss er sich, den Laden an die Handelsorganisation (HO) abzugeben.
Brunhilde Krienke