Heute, da seitens der Stadt Ludwigsfelde Bemühungen vorangetrieben werden, einen echten S-Bahnanschluss in Ludwigsfelde einzurichten, ist wohl auch der richtige Zeitpunkt dafür, daran zu erinnern, dass es vor 75 Jahren beinahe schon einmal soweit gewesen wäre. Damals wurde die Vorortbahn bis nach Ludwigsfelde ausgebaut.
Dieser nicht mehr ganz so gängige Begriff wurde am Ende des 19. Jh. geprägt. Zu jener Zeit bestand Berlin gerade mal aus den Bezirken Mitte, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Hallesches Tor. Alle anderen uns heute als Stadtbezirke so bekannten Orte waren lediglich stark im Wachsen begriffene Gemeinden im Umland, anders ausgedrückt: Vororte. Die Erreichbarkeit der Orte, die an Bahnstrecken lagen, wurde durch die inzwischen etablierte Eisenbahn gewährleistet, zusätzliche Bahnhöfe / Haltepunkte wurden errichtet. Innerhalb Berlins wurde 1877 die Ringbahn geschlossen und 1882 die Berliner Stadtbahn (nicht zu verwechseln mit S-Bahn) von Charlottenburg nach Ostbahnhof vollendet. Die erste separate Vorortstrecke wurde 1891 nach Potsdam gebaut.
Der Vorortverkehr nach Süden auf der Anhalter Bahn endete zunächst am Bahnhof Groß-Lichterfelde Ost. Südlicher gelegene Orte waren über den Fernverkehr erreichbar. Es stellte sich heraus, dass das Zugaufkommen auf der Strecke bis Lichterfelde-Ost kaum noch zu bewältigen war. Durch die Einführung eines günstigen Vororttarifs und den Anstieg der Bevölkerungszahl verfünffachte sich das Passagieraufkommen in den letzten 10 Jahren des 19. Jahrhunderts. Man entschied sich daher für den Bau eines zusätzlichen Gleispaares, das nur dem Vorortverkehr dienen sollte. Diese Strecke begann nun nicht mehr am Anhalter Bahnhof, sondern am nicht weit davon entfernten Potsdamer Bahnhof. Sie verlief weitgehend parallel zur Anhalter Bahn auf einem Damm – statt Bahnübergängen gab es Brücken. Die zweigleisige Lichterfelder Vorortbahn wurde am 1. Dezember 1901 in Betrieb genommen. Zunächst wurde noch unter Dampf gefahren, doch es wurden seitliche Stromschienen an der Strecke installiert und schon ab dem 15. Juli 1903 fuhren hier ausschließlich elektrische Züge. 1924 führte man den Betrieb mit 800 V Gleichspannung und seitlicher, von unten bestrichener Stromschiene ein, wie es auch heute noch üblich ist – die Geburtsstunde des Funktionsprinzips der Berliner S-Bahn.
Erste Überlegungen für einen Ausbau der Vorortbahn nach Süden wurden bereits 1909 geäußert. Die Deutsche Straßen- und Kleinbahnzeitung schlug in einem Artikel vor, die Lichterfelder Vorortbahn bis Trebbin zu verlängern und auch bis dorthin elektrisch zu betreiben. Dieser Vorschlag geriet jedoch zunächst in Vergessenheit. Zwischendurch gab es sogar Überlegungen für einen viergleisigen Ausbau der Anhalter (Fern-)Bahn bis Halle. Auch diese wurden nicht verwirklicht. Derweil wurde 1920 Groß-Berlin in den heutigen Grenzen per Gesetz durch eine Reihe von Eingemeindungen geschaffen. Lichterfelde-Ost befand sich nun in Berlin an der südlichen Stadtgrenze. Der Bahnhof war bereits 1915 auf das Dammniveau der Vorortbahn gehoben und erweitert worden. Anfang der 1920-er Jahre wurde erneut der Ruf nach Verlängerung der Vorortbahn laut, diesmal wenigstens bis Lichterfelde-Süd, einem seit 1893 existenten Haltepunkt, da dort große Villengebiete entstehen sollten. Auch dieses Mal wurde nichts daraus. 1931 setzte sich dann der Kreis Teltow noch einmal für eine Verlängerung bis Trebbin ein, 1932 das Reichsbahn-Verkehrsamt für einen viergleisigen Ausbau bis Luckenwalde und 1933 der Deutsche Siedlungs- und Verkehrsverbund e.V. für eine Verlängerung der Vorortstrecke bis Teltow. Kurze Zeit später wurden dann endlich die Planungen wieder aufgenommen. Zunächst allerdings nur die für den viergleisigen Ausbau der Anhalter Bahn. Anfangs plante man noch, das alte Ludwigsfelder Empfangsgebäude zugunsten eines neuen abzureißen. Erst spätere Planungen sahen beide Gebäude vor.
Im Herbst 1938 ging es dann aber tatsächlich mit der Vorortbahn voran. Die Erdarbeiten für die Dammschüttungen südlich von Lichterfelde-Ost wurden wieder aufgenommen. Die Arbeiten wurden allerdings bei Kriegsausbruch wieder eingestellt. Wahrscheinlich wäre das Vorhaben an dieser Stelle wohl wieder in Vergessenheit geraten, aber in Ludwigsfelde existierte ja inzwischen ein Daimler-Benz Flugmotorenwerk. Am 9. November 1940 unterrichtete der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe die Reichsbahndirektion Berlin. Die Daimler-Benz Flugmotorenwerke in Genshagen seien von ihm mit der Durchführung einer wesentlichen Werkserweiterung für dringendste Rüstungsbelange beauftragt worden. Die Beförderung der für die neuen Werksanlagen einzustellen Arbeitskräfte von Berlin nach Genshagen sei nur möglich, wenn bis zum 1. Januar 1943 die vorgesehene S-Bahnverbindung nach Ludwigsfelde fertiggestellt sei. Nach und von Werk Genshagen wäre dann mit der Beförderung von Täglich 16.000 Personen zu rechnen. Das war nur schwer zu stemmen. Es fehlte zu dieser Zeit vor allen Dingen das Material, aber auch die Arbeitskräfte. Die veranschlagten Kosten beliefen sich auf 25.875.700 Reichsmark. Von dem Plan, sowohl S-Bahnstrecke, als auch zusätzliche Fernbahngleise zu bauen, ließ man schnell ab. Auch die Verlängerung über Ludwigsfelde hinaus bis nach Trebbin wurde wieder auf Eis gelegt, doch in den Planungen für einen späteren Zeitpunkt berücksichtigt.
Die Arbeiten verliefen nicht ohne Schwierigkeiten. Das begann schon mit einem Streit über die Bereitstellung der Kontingente. Gerade das Reichsluftfahrtministerium weigerte sich zunächst strikt, alle Kontingente selbst zu tragen. Man konnte sich jedoch noch auf 30% einigen. Die Reichsbahn übernahm 20% und der Generalbauinspektor 50%. Am 16. Oktober 1941 erklärte der Generalbevollmächtigte für die Regelung der Bauwirtschaft die Kriegswichtigkeit des Projektes. Die Arbeiten schritten zwar voran, doch hatte das Reichsluftfahrtministerium große Schwierigkeiten, Kontingente und Bauvolumen bereitzustellen. Es schlug daher vor, die Strecke nicht komplett elektrisch auszubauen, sondern mit Dampfzügen zu befahren und einen Umsteigebahnhof einzurichten. Dies wurde so umgesetzt – Lichterfelde-Süd wurde zum Umsteigebahnhof erkoren. Die bereits im Oktober 1941 bestellten Stromschienen und Ausrüstungen für Gleichrichterwerke wurden wieder abbestellt.
Wegen vieler Sparmaßnahmen und teilweise „kriegsmäßiger“ Ausführung der Arbeiten wurde das Projekt zwar günstiger als erwartet, konnte aber trotzdem nicht zum gewünschten Zeitpunkt beendet werden. Erst am 9. August 1943 konnte der Vorortverkehr auf der Strecke von Lichterfelde-Ost nach Ludwigsfelde aufgenommen werden. Am 1. November 1943 wurde die Strecke auch in den Berliner S-Bahntarif mit einbezogen.
Der neue S-Bahnhof in Ludwigsfelde war als provisorischer Kopfbahnhof ausgelegt und befand sich etwa hinter dem heutigen Gleis 3. Es handelte sich dabei lediglich um einen Mittelbahnsteig, dessen westliche Bahnsteigkante in einem großen Bogen verlief. Hier hätte man später die Verlängerung nach Trebbin auf der Stadtseite um das Empfangsgebäude herum anschließen können. Der Bahnsteig endete dort, wo heute der neu eingerichtete Parkplatz an der Wendeschleife beginnt. Der Prellbock am Gleisende stand nicht dort, wo heute das Denkmal steht (am Ende der Albert-Tanneur-Straße), sondern etwa auf dem Parkplatz für die Busse, ganz in der Nähe der Ladestation für E-Fahrzeuge. Ein separates Empfangsgebäude gab es nicht auf dem S-Bahnhof. Lediglich ein Stellwerk und eine kleine Bekohlungsanlage für die Dampfloks ließe sich noch erwähnen.
Die Neubaustrecke wurde von ihrer Eröffnung an bis Lichterfelde-Süd mit elektrischen S-Bahnzügen im Zehnminutentakt befahren. Die Dampfvorortzüge zwischen Lichterfelde-Süd und Ludwigsfelde verkehrten im Anschluss an die S-Bahnzüge alle 30 – 60 Minuten, im Berufsverkehr alle 10 – 20 Minuten.
Nach Kriegsende wurde der Zugverkehr auf der Vorortstrecke nicht unmittelbar wieder aufgenommen. Es wurde spekuliert, dass die sowjetischen Truppen sie für den Abtransport von Material aus dem Daimler-Benz Werk benutzten. Erst ab dem 24. Dezember 1945 wurde ein noch recht bescheidener Betrieb mit 7 Zugpaaren täglich wieder aufgenommen. Von Reparationsmaßnahmen war die Strecke glücklicherweise nicht betroffen. Erst Anfang Februar 1947 wurde zur Gewinnung von Oberbaustoffen eines der beiden Gleise abgebaut. Im August vermerkte die Deutsche Zentralverwaltung des Verkehrs in der SBZ, dass für die Vorortstrecke Lichterfelde-Süd – Ludwigsfelde eine Elektrifizierung geplant sei. Der Rat der Gemeinde Ludwigsfelde fragte daraufhin bei der Reichsbahn-Generaldirektion nach und bekam vom späteren DDR-Verkehrsminister Kramer die Antwort, dass die Elektrifizierung für die Aufnahme in den Zweijahresplan vorgeschlagen sei, jedoch mit großem finanziellen und materiellem Aufwand verbunden ist. So besteht zum Beispiel die Notwendigkeit der Errichtung eines neuen Gleichrichterwerks, da der Spannungsabfall bis Ludwigsfelde zu hoch wäre.
Elektrifiziert wurde nur die Strecke bis Teltow, fertiggestellt im August 1951. Gleichzeitig wird der Betrieb auf der Strecke Teltow – Ludwigsfelde eingestellt und das Gleis abgebaut. Inzwischen war das Industriewerk Ludwigsfelde entstanden und ein großes Wohngebiet westlich der Bahn im Entstehen. Beim Straßennetz dafür richtete man sich offensichtlich nach der letzten Planung der Reichsbaudirektion, die etwa 200m nördlich des alten ein neues Empfangsgebäude am Vorortbahnhof vorsah. Das Gebäude wurde zwar nicht gebaut, doch das Ende der Albert-Tanneur-Straße lässt die geplante Nutzung als Vorplatz noch erahnen. Es bestand nun wieder ein erhöhter Bedarf an Personenbeförderung und das Vorortgleis wurde 1953 wieder aufgebaut. Die Züge verkehrten von Teltow – bis Birkengrund Nord noch auf der alten Vorortstrecke, danach auf der Strecke der Anhalter Bahn. Daran änderte auch der Mauerbau nichts, doch die Verkehrsströme änderten sich nun grundlegend. Die direkte Verbindung nach Berlin war abgeschnitten, als Alternative gab es den Bahnhof Berlin-Schönefeld. Erreichbar von Teltow mit dem Bus oder vom neu ausgebauten Bhf. Genshagener Heide, zu dem man aber auch erst mit dem Bus anreisen musste. Letztere Variante wurde von den Ludwigsfeldern mehr und mehr genutzt.
Die Bedeutung der Vorortstrecke nach Teltow ließ mehr und mehr nach. Waren es vor dem Mauerbau noch 15 – 17 Zugpaare täglich, die dort verkehrten, so waren es 1989 gerade noch 8 – 9. Der alte Vorortbahnsteig wurde bereits seit den 60-er Jahren nicht mehr für den Personenverkehr genutzt. Er diente nun lediglich zum Abstellen von Bauzügen. Solche Züge dienten der Unterbringung von Arbeitern für den Bahnbau und gleichzeitig der Mitführung von Material und Werkstattausrüstung. Sie wurden am alten Vorortbahnhof während der Elektrifizierung der Berlin – Leipziger Strecke um das Jahr 1985 herum abgestellt. Später für das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8.3, das von 1993 bis 2006 andauerte, machte am gleichen Bahnsteig noch einmal ein Bauzug für mehr als 5 Jahre Station.
In den 90-er Jahren verkehrte ein Schienenbus auf der Vorortstrecke. Am 24. Mai 1998 wurde der Personenverkehr zwischen Ludwigsfelde und Teltow eingestellt. Nach dem Ausbau der Fernbahnstrecke kann man seit dem 28. Mai 2006 von hier wieder auf der alten Trasse der Anhalter Bahn nach Berlin fahren. Das Vorortgleis wird dabei noch von Ludwigsfelde bis zur großen Kurve bei Genshagener Heide genutzt, der Vorortbahnsteig wurde Anfang der 2000-er abgerissen.
Quelle: Peter Bley: Eisenbahnen auf dem Teltow – 170 Jahre Eisenbahngeschichte zwischen Lichterfelde, Teltow und Ludwigsfelde
Zeitzeugenberichte von Herrn Uwe Kluckow
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