Pfingstausflug durch die Nachbardörfer vor mehr als 110 Jahren

Berlin war um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine Großstadt mit 1,9 Mio. Einwohnern. Mehr als die Hälfte von ihnen waren Zugezogene – ein Ergebnis der zunehmenden Industrialisierung. Die vielen Menschen mussten untergebracht werden. Gerade den Ärmeren blieben da nur die Mietskasernen zur Auswahl, stickig und überbelegt. Kein Wunder, dass daher die Berliner gern mal ins „Grüne“ fuhren, um frische Luft zu schnappen.

Dazu kam, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Freizeitbeschäftigung mehr und mehr an Beliebtheit gewann: die Wanderbewegung. In den Zeitungen am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine Kategorie, in der die Wandervereine zu ihren Wochenendausflügen aufriefen. In einer Ausgabe von 1912 tauchten tatsächlich insgesamt 16 Vereine mit ihren Aufrufen für Wanderausflüge am kommenden Wochenende auf. Das Interesse muss also recht hoch gewesen sein. Die inzwischen bequemen Bahnanbindungen ins Umland kamen den Wanderern entgegen.

Die Berliner Volks-Zeitung, erschienen ab 1904, veröffentlichte vermehrt Vorschläge für Wanderrouten in der Nähe Berlins, allerdings war man dabei nicht gerade sehr erfinderisch. Die gleichen Artikel, verändert nur in kleinen Details in der Wortwahl, wiederholten sich alle paar Jahre.

Hier ein Vorschlag für eine Wanderung in unserer Gegend aus der Berliner Volks-Zeitung vom 9. Juni 1905:

In den Pfingsttagen ist ein Besuch der im Festschmuck prangenden Dörfer besonders erfreulich. Wir empfehlen daher eine Wanderung durch vier alte Teltowdörfer, die abseits der großen Heerstraße ein idyllisches Dasein führen. Sie sind mit der Anhalter Bahn zu erreichen: Rückfahrkarte nach Ludwigsfelde, Abfahrt früh 6.40 mit Personenzug. Vom Bahnhof wende man links über die Bahn und gehe gleich nochmals links durch Damsdorf hindurch auf dem Wege nach Großbeeren, etwa eine halbe Stunde, bis an einen Kreuzweg. Auf diesem rechts wieder in einer halben Stunde durch die schöne Genshagener Heide nach dem freundlichen Dorfe Genshagen mit herrlicher Allee, alten Bauernhäusern, idyllischer Kirche und einem stattlichen Schlosse.

In den Pfingsttagen ist ein Besuch der im Festschmuck prangenden Dörfer besonders erfreulich. Wir empfehlen daher eine Wanderung durch vier alte Teltowdörfer, die abseits der großen Heerstraße ein idyllisches Dasein führen. Sie sind mit der Anhalter Bahn zu erreichen: Rückfahrkarte nach Ludwigsfelde, Abfahrt früh 6.40 mit Personenzug. Vom Bahnhof wende man links über die Bahn und gehe gleich nochmals links durch Damsdorf hindurch auf dem Wege nach Großbeeren, etwa eine halbe Stunde, bis an einen Kreuzweg. Auf diesem rechts wieder in einer halben Stunde durch die schöne Genshagener Heide nach dem freundlichen Dorfe Genshagen mit herrlicher Allee, alten Bauernhäusern, idyllischer Kirche und einem stattlichen Schlosse. Von hier südlich durch eine sehr schöne Ebereschenallee in 25 Minuten nach Löwenbruch und weiter nach ¾ Stunden – immer auf schattiger Straße – nach Ludwigsfelde zurück. Beim Chausseehause wendet man sich mit der Chaussee links, überschreitet die Bahn und gelangt in einer Stunde auf der Chaussee immer durch Wald nach dem hübschen Dorfe Siethen, das malerisch an dem waldumsäumten Siethener See liegt. Der schöne Gutspark lohnt einen Besuch. Weiter geradeaus zum Dorfe hinaus auf der Chaussee, die bei einer Windmühle rechts abbiegt, die Landenge zwischen dem Gröbener und Siethener See überschreitet und in vierzig Minuten das Schwesterdorf Siethens, Gröben, erreicht. Ein Fußpfad, der links von der Chaussee abzweigt, kürzt den Weg ab. Gröben hat eine schöne, von Schinkel renovierte Feldsteinkirche und einen interessanten alten Dorfkrug aus dem Jahre 1734. Nun rechts zum Dorfe hinaus und auf der Chaussee zurück, bis zu dem von alten Bäumen beschatteten Feldwege, der um den Siethener See herum in einer knappen Stunde zum Siethener Forsthause führt. Von hier die Chaussee südlich durch schönen Wald nach Siethen und ebenfalls auf der Chaussee nach Ludwigsfelde zurück, oder mit einem Umwege von Siethen auf dem nach Großbeeren führenden Waldwege nordöstlich. An der zweiten Wegekreuzung, nicht weit vom Pechpfuhl zweigt rechts der Weg nach Ludwigsfelde ab. [1]

Bis auf die Tatsache, dass man auf der Chaussee von Ludwigsfelde nach Siethen nicht mehr die Bahn überschreiten kann, ist es wohl heute noch möglich, diese Wanderung vorzunehmen, allerdings dürfte das Vergnügen, auf Chausseen zu wandern, heute nicht mehr gegeben sein.
 Am Abzweig nach Gröben stand tatsächlich mal eine Windmühle. Auf einer Karte aus den 40er Jahren war sie allerdings schon nicht mehr eingetragen.
Dass die Gröbener Kirche von Schinkel renoviert wurde, ist sicher etwas weit hergeholt. An der ursprünglichen Kirche fand der letzte Umbau im Jahre 1860 statt. Da war Schinkel schon fast 20 Jahre tot. Davor gab es zuletzt im Jahre 1633 eine Rekonstruktion, die allerdings nur die Uhr betraf. Die heute dort zu besichtigende Kirche stammt aus dem Jahre 1909, da der Vorgängerbau am 24.12.1908 nahezu komplett einem Brand zum Opfer fiel. [2]
Möchte man eine echte Schinkel-Kirche sehen, braucht man aber nur nach Großbeeren zu wandern.

Quellen:

[1] Berliner Volks-Zeitung vom 09.06.1905

[2] Mittelalterliche Dorfkirchen im Teltow (Brandenburg) unter: http://userpage.fu-berlin.de/engeser/teltow/groeben/groeben.htm

[3] Kalender der Mitglieder des Raiffeisen-Vereins für Pfarrer Lembke aus Gröben, 1934

[4] Kubach & Seeger (1941): Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Mark Brandenburg, Kreis Teltow

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